Seit vielen Jahren schon lädt die Eßlinger Zeitung zwei Mal im Jahr gemeinsam mit der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen zur Reihe „Im Gespräch“. Kürzlich war es wieder so weit: Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Dr. Susanne Koch von der Agentur für Arbeit Baden-Württemberg, Eberspächer-Chef Martin Peters und die ukrainische Studentin Mariia Ivanishyna saßen auf dem Podium im Esslinger Neckar Forum. Gemeinsam diskutierten sie über den Fachkräftemangel in Baden-Württemberg. Der Ministerpräsident und der Eberspächer-Chef beklagten steigende Ansprüche der Arbeitnehmer. Die Agenturchefin und die Studentin sahen die guten Aussichten für den Einzelnen. Ein Abend mit „viel Hoffnung“ und einem „Schuss Pessimismus“, wie Moderator Johannes M. Fischer, Chefredakteur der Eßlinger Zeitung, bilanzierte.
Die Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer stritten zwar nicht, doch ihre unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema wurden deutlich: Vom Ministerpräsidenten, dem zu der Forderung nach einer 20-Stunden-Woche – wie mitunter von seinem eigenen Parteinachwuchs gefordert – nach eigener Aussage „nichts mehr einfällt“. Bis zur Studentin, die deutlich macht, vor welchen Hürden ausländische Fachkräfte stehen, weil in vielen Unternehmen Deutsch die Arbeitssprache ist – und es im Gegensatz zu anderen Ländern schwierig ist, sich mit Englisch durchzuschlagen.
Innovationsvorsprung gibt es nicht mehr
Dass der Arbeitskräftemangel zur Gefahr für den Wohlstand in Deutschland werden kann, betonten die Männer auf dem Podium. Der Ministerpräsident mahnte jedoch, nicht zu dramatisieren: Die Reden von einer Deindustrialisierung seien „hochgradig überzogen“. „Problematisch finde ich aber, wenn Forschung und Entwicklung nicht bei uns bleiben“, sagte Kretschmann. Zugleich schärfte er das Bewusstsein dafür, dass deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb nicht mehr den Innovationsvorsprung von einst haben. Mit Blick auf die Arbeitnehmerseite sagte er: „Es herrscht teilweise die Meinung, wir sind reich und es kann uns nichts passieren.“ Zugleich müssten Arbeitgeber den Mitarbeitenden Flexibilität gewähren für familiäre Aufgaben in der Erziehung oder Pflege.
Martin Peters macht bei Eberspächer die Erfahrung, dass selbst viele Berufseinsteiger weniger arbeiten wollen. „Wenn wir etwas schaffen wollen, ist aber nicht das Heruntersetzen der Arbeitszeiten und der Effizienz der richtige Weg.“ Peters konstatiert, dass sich in seinem Unternehmen die Anzahl der Bewerbungen seit 2019 halbiert habe. Die Besetzung einer Stelle dauere im Schnitt sechs Monate.
Alle Potenziale auf dem Arbeitsmarkt heben
Eine andere Haltung mit Blick auf die Bewerberinnen und Bewerber brachte Dr. Susanne Koch von der Bundesagentur für Arbeit aufs Podium. Die Geschäftsführerin Operativ der Regionaldirektion Baden-Württemberg forderte, alle Potenziale zu heben und auch leistungsschwächeren Jugendlichen eine Chance zu geben. „Wir können es uns nicht leisten, dass knapp 20 Prozent der Jugendlichen ohne Ausbildung bleiben.“ Die Berufswünsche seien seit zehn Jahren stabil, obwohl sich am Arbeitsmarkt viel getan habe. „Das Spektrum der neuen Berufe muss an die jungen Leute noch mehr rangebracht werden.“
Dagegen haben die Wirtschaftsinformatikstudentin Mariia Ivanishyna und ihre Kommilitonen von der Hochschule Esslingen ihr Studienfach durchaus danach ausgewählt, was vom Arbeitsmarkt verlangt wird. „Die IT-Branche ist riesig. Ich hoffe, es gibt einen Platz für mich.“
Ministerpräsident Kretschmann resümierte: „Den einen Hebel gibt es nicht.“ Man müsse auf vielen Gebieten ansetzen, etwa Fachkräfteeinwanderung beschleunigen oder auch Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz nutzen.
Ins Neckarforum waren hunderte Gäste gekommen, um der Veranstaltung beizuwohnen. Im Anschluss fanden sie miteinander ins Gespräch und diskutierten über die Eindrücke der Podiumsveranstaltung. Die nächste Gelegenheit dazu gibt es bereits im kommenden März. Dann ist die nächste Folge der Reihe „Im Gespräch“ geplant.